Arnaud Bertrand, Gründer und CEO von HouseTrip
Vor sechs Jahren ärgerten sich der Hotelfachschulabsolvent Arnaud Bertrand und seine Partnerin, wie schwierig es war, in Schottland eine Ferienwohnung zu buchen. Aus dem Problem wurde eine Geschäftsidee und zwei Jahre später die Firma HouseTrip. Vier Jahre nach der Gründung hat das Unternehmen schon 200 Angestellte und weckt Begehrlichkeiten bei Investoren und Konzernen.
Interview: Mathias Morgenthaler Foto: ZVG
Herr Bertrand, vier Jahre, nachdem Sie HouseTrip in Lausanne gegründet haben, wird darüber spekuliert, ob Sie das Unternehmen bald für einen Milliarden-Betrag an einen Weltkonzern verkaufen. Stand das alles so in Ihrem Businessplan?
ARNAUD BERTRAND: Nein, natürlich nicht. Den ersten Businessplan erarbeiteten meine Frau und ich schon 2007, da waren wir noch mitten in der Ausbildung an der Hotelfachschule in Lausanne. Bei der technologischen Entwicklung unserer Plattform waren wir in vielerlei Hinsicht zu optimistisch, bei der Projektion der Einnahmen hingegen zu wenig ambitioniert, wie sich heute zeigt. Unsere Einnahmen sind heute zehn Mal höher als wir damals gehofft hatten. Ich werde Ihnen aber keine Umsatz- oder Gewinnzahlen nennen.
Bekannt ist, dass Sie in vier Jahren rund 60 Millionen Franken Kapital aufnehmen konnten. Sind Sie von Anfang an überall offene Türen eingerannt?
Ganz und gar nicht. Zunächst hatten wir ja keine Businessidee, sondern ein Problem. Meine Partnerin Junjun Chen und ich planten eine Edinburgh-Reise und hatten keine Lust, in teuren, trostlosen Hotelzimmern zu wohnen. Wir wollten kurzfristig eine Wohnung mieten und stellten fest, dass das grauenhaft kompliziert war. Wir fanden nur Seiten mit endlos vielen Kleinanzeigen und hätten mit jedem Inserenten individuell die Zahlungsmodalitäten und alles weitere verhandeln müssen. Wir konnten das nicht glauben, kannten wir doch vom Studium her die praktischen Angebote auf Hotelreservationsplattformen. Nach der ersten Verwunderung war uns klar: Wenn es das noch nicht gibt, dann müssen wir das machen.
Ein grosses Vorhaben für zwei unerfahrene Studenten.
Wir hielten es beide schon früh mit Churchill und sahen eher die Gelegenheit in jeder Schwierigkeit als die Schwierigkeit in jeder Gelegenheit. Das rührt sicher auch daher, dass wir beide aus Unternehmerfamilien stammen. Junjuns Eltern sind in der Textilfabrikation tätig, meine Eltern verkauften Kunst über Kataloge. Der Firmensitz war unser Zuhause, ich bin also im Unternehmen aufgewachsen und nahm die unternehmerische Haltung mit der Muttermilch auf. Ursprünglich hatte ich das Ziel, nach der Schule ein Hotel zu leiten. Aber die Hotellerie ist eine extrem langsame, traditionsbewusste Branche. Vieles funktioniert noch wie vor 50 Jahren – das sieht man schon allein an den vielen Dresscode-Vorschriften. Ich wollte lieber ohne Krawatte und unrasiert arbeiten, dafür richtig schnell. Daher kam die Idee wie gerufen.
Und an Geld mangelte es auch nicht?
Doch, das war ein Engpass. Wir hatten 1200 Franken auf dem Konto, etwas wenig, um eine Buchungsplattform zu entwickeln. Meine Frau war zuerst skeptisch. Ich war aber Feuer und Flamme. Stellen Sie sich vor, Sie begegnen der schönsten Frau der Welt und stellen fest, dass diese gegen alle Wahrscheinlichkeit noch Single ist. Da kann man doch nicht einfach zuwarten! Ich habs meiner Partnerin natürlich nicht so erklärt, sondern ich sagte: «Wir haben kein Geld zu verlieren, kein Haus, keine Familie, noch nicht einmal einen Job – was also ist unser Risiko? Die einzige Gefahr ist, dass es nicht funktioniert. Dann haben wir immerhin eine Menge gelernt. » Als sie merkte, dass ich nicht zu bremsen war, zog meine Frau dann voll mit.
Wie baut man eine Firma auf ohne Geld?
Am Anfang war es sehr schwierig, Investoren zu finden. Pioniere haben dieses Problem fast immer. Sie sind begeistert von ihrer Innovation, die möglichen Investoren hören sich das mit Interesse an und sagen dann: «Wenn das so toll wäre, wie Sie uns hier glauben machen wollen, dann hätten das bestimmt schon andere vor Ihnen gemacht.»
Sie waren ja nicht die ersten. Die amerikanische Plattform Airbnb ging schon 2008 online.
Ich las im Juli 2009 erstmals davon, im Zug auf dem Rückweg aus St. Gallen. Das war ein Schock, ich habe laut geflucht. Aber vermutlich hat uns das bei der Geldbeschaffung sogar geholfen. Wir erhielten 2009 bei der Gründung 230 000 Franken von Freunden und Business Angels, im Folgejahr 2,5 Millionen von der Beteiligungsgesellschaft Index Ventures, vorletztes Jahr kamen 17, letztes Jahr 40 weitere Millionen dazu. Was mindestens so wichtig ist wie das Geld: Es gelang uns rasch, erfahrene Unternehmer und Manager an Bord zu holen.
Hatten Sie nie die Befürchtung, dass Ihnen das ganze über den Kopf wächst?
Doch, wir hatten laufend viele Zweifel. Wenn Sie so schnell eine Firma groß machen, dann ist das immer ein wenig ein Gefühl, als würde man gleichzeitig am Steuer des rasenden Autos sitzen und den Motor reparieren. Wichtig war für mich, dass ich es nie als Bedrohung empfunden habe, erfahrenere und intelligentere Leute einzustellen. Das ist eine große Entlastung. Ich muss nicht alles besser können, als Gründer, größter Aktionär und Chef bin ich aber die höchste Instanz, wenn es um die Vision des Unternehmens geht.
Und wie lautet diese Vision?
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass es besser ist, auf Reisen ein ganzes Haus oder eine 50-Quadratmeter-Wohnung für 80 Euro pro Nacht zu bewohnen als in einem 15-Quadratmeter-Hotelzimmer für 120 Euro abzusteigen. Unsere Vision ist, dass diese Art des Reisens künftig die erste Wahl sein wird. Das gelingt aber nur, wenn die Reservation von Ferienwohnungen und -häusern ebenso komfortabel ist wie jene in Hotels.
Bekommen Sie überhaupt noch ein Zimmer in einem Hotel als Totengräber dieser Branche?
Seit es HouseTrip gibt, brauche ich keine Hotelzimmer mehr. Aber natürlich erhalte ich viele Reaktionen von Hoteliers, nicht alle in freundlichem Ton abgefasst. Die Hoteliers haben eine starke Lobby und kämpfen dagegen, Marktanteile abzugeben. Aber als Totengräber sieht man mich nicht. Jedenfalls durfte ich im März vor Tausenden von Hoteliers an einer grossen Konferenz in Berlin referieren.
Sie und Ihre Frau haben das Unternehmen gemeinsam gegründet und gross gemacht. Wie stark färbt das aufs Privatleben ab?
Zu Beginn zeigte es sich vorwiegend darin, dass wir ziemlich oft Spaghetti al Pesto assen und nie mehr ausgingen. Aber inzwischen ist klar: Unser ganzes Leben ist voll in Housetrip investiert. Wir haben das Unternehmen immer im Kopf, wir sind das Unternehmen, alles wird dadurch diktiert. Das ist vermutlich einschneidender, als ein Kind zu haben. Entsprechend mussten wir ein paar Regeln aufstellen. Eine besagt, dass wir am Samstag wirklich frei haben, also auch keine Mails checken. Die anderen sechs Tage sind der Arbeit gewidmet. Aber wenn wir nach Hause kommen, dann reden wir nicht über HouseTrip. Es ist gefährlich, sich ganz mit dem Unternehmen zu identifizieren. Startup-Unternehmer zu sein, ist eine Berg- und Talfahrt. Da muss man sich emotional etwas distanzieren.
Bei Ihnen gibt es doch nur eine Richtung: immer aufwärts. 2012 und 2013 zum besten Startup der Schweiz gewählt, grossen Zuspruch bei den Investoren – was gibt es für Talfahrten?
Wenn ein geschätzter Mitarbeiter die Firma verlässt, empfinde ich das als persönliche Niederlage. Zudem war es oft viel schwieriger als angenommen, die erwünschte Funktionalität der Seite hinzubekommen. Derzeit wird gerade wieder die ganze Plattform umgestaltet – und gleichzeitig muss alles funktionieren, weil über 260 000 Haus- und Wohnungsbesitzer sich darauf verlassen. Ich bin ja nicht nur für meine 200 Angestellten verantwortlich, sondern auch beispielsweise für den Hausbesitzer in Barcelona, der dank der Vermietung über Housetrip 40 000 Euro Jahreseinkommen generiert.
Und werden Sie das Unternehmen bald für eine Milliarde oder mehr verkaufen oder ist das eine Lebensaufgabe?
Was den Wert des Unternehmens betrifft, sind wir nicht mehr weit von der Milliarde entfernt. Wir tun täglich alles dafür, diesen Wert weiter zu steigern. Es vergeht keine Woche, ohne dass ich Übernahmeangebote von Investoren bekäme, aber es gibt keinen Grund zur Eile. Wir sind beide jung und haben Spaß an der Aufgabe. Zudem weiß ich noch gar nicht, ob ich eher der Typ Wiederholungstäter, also ein notorischer Gründer, bin, oder ob ich möglichst lange dabei bleiben will. Nur eines zeigt sich deutlich: Je reicher ich mit Housetrip geworden bin, desto weniger interessiert mich das Materielle. Wir haben beide wenig Lust, teure Sachen zu kaufen. Deshalb finde ich die Perspektive, nicht mehr arbeiten zu müssen und nur noch Geld auszugeben, eher erschreckend als reizvoll.
Ärgert es Sie wenigstens ein bisschen, dass Airbnb noch ein Stück grösser und erfolgreicher ist?
Sie dürfen mir glauben, wir ärgern uns täglich über Airbnb, das erhält die Spannkraft. Und natürlich sind wir überzeugt, bald die Nummer 1 zu werden. In Europa bewegen wir uns schon heute auf vergleichbarem Niveau. Bei der Positionierung gibt es einen klaren Unterschied: Wer über Airbnb bucht, ist eher bei jemandem zu Besuch – die Vermieter stellen meistens bloß ein Zimmer zur Verfügung oder überlassen den Gästen vorübergehend die eigene Wohnung. Bei HouseTrip sind 90 Prozent der Objekte ganz auf die Vermietung ausgerichtet.
Wie versuchen Sie, weitere Marktanteile zu gewinnen?
Wir haben keine Probleme, Vermieter zu gewinnen – da kommen ohne viel Aufwand 3000 neue pro Woche dazu. Entscheidend ist, neue Mieter zu finden und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Bei uns arbeiten 120 von 200 Angestellten im Kundenservice.
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Das Buch zum Thema: www.aussteigen-umsteigen.ch