Im Interview: Heiko Fischer, HR-Revolutionär und Unternehmer
Interview: Mathias Morgenthaler/Foto: zvg
Herkunft verpflichtet: Wie sein Grossvater und sein Vater beschäftigt sich Heiko Fischer mit Human Resources – allerdings nicht als Angestellter, sondern als Unternehmer und Berater. Der 38-Jährige plädiert dafür, die HR-Abteilungen abzuschaffen und den Angestellten möglichst viel Handlungsspielraum zu geben. Dabei setzt er auf kleine Teams und neuste Technologie.
Herr Fischer, Sie haben sich einen Namen gemacht als Unternehmensberater, der das Personalwesen oder neudeutsch: die Human-Resources-Abteilungen abschaffen will. Woher rührt Ihr Zorn auf die HR-Leute?
HEIKO FISCHER: Ich bin in der Tat enttäuscht. Früher war HR mal eine treibende Kraft in der Gesellschaft. Sie flexibilisierte Arbeitszeiten, schaffte Raum, in dem sich Menschen durch Arbeit verwirklichen konnten. Für mich waren HR-Gestalter Helden. Heute ist die HR ein Schatten ihrer selbst – es dominieren die Verwalter, Vermesser und Verhinderer. Mein Anspruch ist, dass HR-Leute wieder Verantwortung übernehmen und Vorreiter einer neuen digitalen Gesellschaft werden, in der sich alle auf Augenhöhe begegnen. Wir brauchen gerade jetzt Einmischer, die auch mal unangenehm sind, das System vorantreiben. Also, seid Helden oder verlasst leise das Gebäude!
Sie plädieren für einen Abbau von Hierarchien und eine radikale Demokratisierung in Unternehmen. Ist das nicht naiv zu glauben, alle könnten gleichermassen mitbestimmen?
Nein, das ist ein Gebot der Stunde. Ich habe mich vor einiger Zeit mit David Marquet , einem U-Boot-Kapitän der US Navy, unterhalten.. Er war lange Zeit der Überzeugung, der Kapitän müsse das Boot am besten kennen, nur so könne er die richtigen Anweisungen geben. Als er ein altes U-Boot, das er kaum kannte, navigieren sollte, führten seine Kommandos fast zur Katastrophe. So lernte er, den Mitgliedern seiner Crew Fragen zu stellen, ihnen mehr Verantwortung zu geben und so bessere Entscheidungen zu fällen. In Krisensituationen führt alles andere ins Fiasko. Aber natürlich kann man die Chefs der alten Schule nicht von heute auf morgen abschaffen. Demokratie und Selbstorganisation wollen erlernt und eingeübt werden wie jede Verhaltensänderung.
Ihr Vater und Ihr Grossvater waren bekannte Personalchefs. Wie wurden Sie zum Revolutionär?
Mein Vater war Personalleiter bei Hewlett-Packard und später Personalvorstand bei der Deutschen Bank und lehrt als Honorarprofessor HR-Management. Er war für mich ein Vorbild und eine Motivation, mich mit Unternehmensführung auseinanderzusetzen. Gleichzeitig hatte ich schon in jungen Jahren Mühe mit Autoritäten. Je bestimmter jemand etwas von mir forderte, desto heftiger weigerte ich mich. Ich war auf guten Wegen, in Deutschland von der Schule zu fliegen und zum Kleinkriminellen zu werden, als wir wegen eines Stellenwechsels meines Vaters nach Genf umzogen. Das war meine Rettung. Später lebte ich in den USA, in Spanien, Ägypten und Berlin. So lernte ich früh, fremde Kulturen zu verstehen und mich darin zurechtzufinden. Und ich entwickelte ein Sensorium dafür, welche Unternehmenskulturen Menschen ganzheitlich ansprechen und wo die Mitarbeiter einfach Dienst nach Vorschrift abliefern.
Ihre eigene Karriere starteten Sie bei HP in Barcelona.
Mir imponierte dieses Unternehmen, denn ich sah, dass mein Vater dort nicht nur einen Job machte, sondern seine Arbeit liebte und auch privat eng mit seinen Arbeitskollegen verbunden war. Ich realisierte, was für einen gigantischen gesellschaftlichen Nutzen ein gesundes Unternehmen stiften kann. Die beiden Gründer von HP waren grosse Identifikations-, ja Vaterfiguren. Als ich bei HP begann, merkte ich aber rasch, dass ich dort immer im Schatten meines Vaters stehen würde. Ich wollte aber kein Heinz Fischer 2.0 werden. Also ging ich zu Ebay in den Kundendienst, wo ich hauptsächlich durch forsches Experimentieren und unüberlegte Arroganz auffiel. Ich war stolz darauf, kaum Kompromisse zu machen, immer ans Limit zu gehen, ohne zu realisieren, dass ich privilegiert war, weil ich aus sehr guten Verhältnissen stammte und mir keine existenziellen Sorgen machen musste.
Wie wurden Sie vom arroganten Jungmanager zum Unternehmer und Berater?
Meine Chefin bei Ebay erteilte mir eine Lektion fürs Leben. Sie hatte meine Besserwisserei satt und überliess mir für drei Wochen ihren Job. Danach würden wir sehen, was ich vorzuweisen hätte. Das Experiment wurde für mich zur Blamage. Es lehrte mich Demut und zeigte mir, dass ich alleine nichts bewegen kann. Ebenso prägend war mein Job als Personalverantwortlicher bei Crytek, einem der grössten Entwickler von Videospielen. Wenn du bei einem rasant wachsenden Startup, das drei deutsch-türkische Brüder in einer Garage in Coburg gegründet haben, mitwirkst, lernst du viel über agiles Management und egalitäre Strukturen. Zudem war das Geschäft extrem technologiegetrieben, was mir später bei der Entwicklung des eigenen Unternehmens geholfen hat.
Ihr Unternehmen Resourceful Humans zählt vier Jahre nach der Gründung schon 25 Angestellte, nebst dem Hauptsitz in Berlin gibt es Zweigstellen in Zürich und in San Francisco. Kommen Sie ohne klare Hierarchie und ohne Personalabteilung aus?
Ja, wir praktizieren tatsächlich das, was wir unseren Kunden empfehlen – kommt selten genug vor in der Beraterbranche! Jeder kann arbeiten, wann und von wo er will, er muss nur die mit dem Team erarbeiteten Ziele erreichen. Unser Verkaufsleiter ist gerade für drei Monate in Hawaii, der Technische Leiter arbeitet die meiste Zeit in Würzburg, ein Teil der Entwickler arbeitet von Barcelona und Ägypten aus. Jeder kennt das Gehalt des anderen, der Bonus wird durch die Teams verteilt oder gespendet. Alle drei Gründer haben gleiche Anteile und wir treffen wichtige Entscheidungen nur einstimmig. Neue Leute holen wir in Etappen in die Firma. Wir geben Freiberuflern erste Aufträge und bauen die Zusammenarbeit allmählich aus, bis sie zu 100 Prozent ausgelastet sind. Läuft auch das gut, bieten wir ihnen einen Vertrag an. Diese Art von Rekrutierung entspricht einem langsamen Verlieben, die klassische Rekrutierung mit Bewerbungsgespräch und Einstellung gleicht da eher dem One-Night-Stand.
Sie sind ein glühender Verfechter der Informations-Technologien. Warum helfen solche bei der Verbesserung der Unternehmenskultur?
Das Hauptproblem in vielen Organisationen ist doch, dass die Eigeninitiative des Einzelnen durch Reglementierung gebremst wird und dass die Zusammenarbeit schlecht organisiert ist. Um das zu ändern, setzen wir in Anlehnung an Tesla-Gründer Elon Musk auf drei Prinzipien: Gib den Leuten die Freiheit, zu wählen. Schaffe maximale Transparenz. Und: Halte es klein und einfach. Die Wahlfreiheit bedeutet auch, dass jeder mehr Verantwortung übernimmt. Transparenz bedingt einen guten Informationsfluss, damit alle auf solider Grundlage entscheiden können. Und Einfachheit zieht Menschlichkeit nach sich. Wenn die Mitarbeiter in kleinen Teams tätig sind und sich gut kennen, sind sie loyaler. Technologische Innovationen können hier als Diagnoseinstrument und als Katalysator wirken.
Wie sieht das konkret aus?
Ein verbreitetes Übel sind zu lange, ineffiziente Sitzungen. Die App caRHds, die wir entwickelt haben, ermöglicht es Meetingteilnehmern, den Nutzen einer Sitzung zu bewerten. Sie nimmt sie aber auch in die Verantwortung und fragt nach, wie viel sie zum Gelingen des Meetings beigesteuert haben. Oder die App staRHs erlaubt jedem Mitarbeiter, pro Woche 10 Sterne an Arbeitskollegen zu vergeben als Zeichen der Wertschätzung. Daraus resultiert eine Wertschätzungskarte für die gesamte Organisation, eine Echtzeit-Abbildung der Unternehmenskultur. Man sieht auch, zwischen welchen Abteilungen Funkstille herrscht und wer zwar viel verdient, aber kaum Wertschätzung erfährt.
Liegt es nicht in der Natur der Sache, dass Chefs weniger beliebt sind, weil sie unangenehme Entscheidungen fällen müssen?
Tatsächlich erhält der Unternehmenschef oft relativ wenig Sterne, weil die Mitarbeiter keine genaue Vorstellung davon haben, was der ganz oben eigentlich den ganzen Tag macht. Aber das kann man ändern. Mark Klein, CEO von T-Mobile Niederlande, wirkt dem entgegen, indem er einen Tag pro Quartal seinen Job einem Mitarbeiter überlässt. Das steigert die Wertschätzung enorm. Einen Schritt weiter geht Marc Stoffel, Schweizer Chef des IT-Dienstleister Haufe Umantis. Er lässt sich demokratisch wählen und weiss so, dass er volle Rückendeckung hat. Jeder Mitarbeiter ist in der Verantwortung, Führungsverantwortung ist kein Status mehr, sondern eine Rolle auf Zeit. Der Kapitän steht nicht mehr auf der Kommandobrücke und brüllt Befehle an seine 143 Matrosen, sondern er wählt mit ihnen aus 143 Vorschlägen den besten aus.
Sind Angestellte überhaupt bereit, sich so stark zu engagieren? Die Studien von Gallup besagen, dass nur 2 von 10 unternehmerisch handeln, 7 dagegen Dienst nach Vorschrift leisten.
Ich möchte nicht, dass meine Kinder mal behandelt werden als, ob seien sie unmündige Mitarbeiter und möchten das auch bleiben. Als Erwachsene führen wir alle unseren eigenen Haushalt, wählen, stimmen ab, organisieren unser Leben – warum sollten wir bei der Arbeit hinten in einem Bus sitzen wollen, den immer der Gleiche steuert? Entscheidend ist, wie einfach wir etwas bewegen können. Auch dafür haben wir ein Tool entwickelt. Die App netwoRHk ermöglicht jedem Mitarbeiter einer Organisation, Vorschläge für Wertbeiträge zu erfassen und Mitarbeiter zum Mitwirken einzuladen. Wer eingeladen wird, kann mittun oder ablehnen. So entstehen Projekte der Komplizenschaft auf der Basis von Freiwilligkeit. Initiatoren werden zu Leadern, ohne dass sie formell eine Führungsfunktion innehaben. Und die Chefs müssen nicht alle Projekte selber anreissen, sondern haben eher die Funktion von Wagniskapitalgebern, die unternehmerisch entscheiden, welches Projekt mit welchen Mitteln ausgestattet wird.
Kontakt und weitere Informationen:
www.resourceful-humans.com oder heiko@resourceful-humans.com
Ersterscheinung: 01. August 2015 auf
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