Wär ich schon Mal in Frankreich gewesen, dann könnte ich sowas sagen wie „Montreal – hier trifft Frankreich auf Nordamerika.“ Da ich aber eben nie dort war, weiß ich nicht, ob das stimmt. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Montreal ist von der Architektur her sehr europäisch. Und vom Wetter her sehr englisch. (Zumindest erleb‘ ich die ganze Woche lang keinen Tag ohne Regen. Fotos mach ich trotzdem nur bei Schönwetter.)
Gleichzeitig erinnert mich der Blick über die Stadt vom „Mount Royal“ aus, dem Hügel, dem die Stadt den Namen zu verdanken hat, an die Pixelbauten aus dem PC-Spiel Sim City.
Und auch hier trifft Alt auf Neu.
Nach den freundlichen Zollbeamten begegnen mir freundliche Hostelangestellte, die mich zum Pub Crawl einladen. Es ist spät, als ich ankomme, es regnet und ich bin müde. Bevor ich mich aber verseh‘, sitz‘ ich schon mit meinem neuen tasmanischen Zimmerkollegen Cameron – einem 2 Meter Hühnen – an der Hostelbar und trinke kanadisches Bier. Adrian, der Spanier kommt strahlend an die Theke. „Let’s go! Pub Crawl! Now!“ Er veranstaltet dieses Event jeden Donnerstag. Man macht dabei nichts anderes als in der Gruppe diverse Lokale abzuklappern und Leute kennenzulernen. Der Abend wird feucht fröhlich, aber das liegt weiterhin am Wetter und nicht am Alkohol. Gegen Mitternacht zeigt mir Adrian den Weg zurück ins Hostel und ich vereinbare gleich einen Interviewtermin mit ihm.
Ich mache bei Adrians Stadtführung mit. Das einzige, das tatsächlich meine Aufmerksamkeit packt, ist der Cirque Du Soleil, der hier seine Basis hat. Da hier jeden Tag zwei Shows gespielt werden, kaufe ich mir ein günstiges Ticket und bin fasziniert von der atemberaubenden Akrobatik und verrückten Story, die mir in der Show geboten wird.
Ich bin in Montreal nie allein, John, ein anderer Australier wird mein „pal for a week“. So nenn‘ ich die Kurzfreundschaften, die sich auf Reisen bilden. Man geht dann halt zusammen in den Zirkus oder macht Fotos von Häusern.
Aus Montreal nehme ich neben der Zirkusshow „Kurios“ viele weitere kuriose Erinnerungen mit, wie zum Bsp. die an den Tag, an dem mein neuer Mitbewohner – ein junger, koreanischer Soldat – meinen Schirm ausborgt, ihn mir freundlich, aber kaputt zurück bringt und mir erklärt, er müsse morgen frühzeitig die Stadt verlassen, um vor seiner kanadischen Oma zu fliehen, die ihn seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat und ihn morgen zu sich einladen möchte.
Ich erinnere mich an die geheime Appartementparty, die der Wohnungsbesitzer aus Geldmangel gegen Bezahlung in seiner Wohnung genehmigt. Erst nach Stunden schob ich den auffällig großen, roten Vorhang mitten im lärmenden Raum ein wenig zur Seite und sehe ihn dahinter an einem PC sitzen, wartend, dass die jungen Leute endlich mit der Feier fertig sind, damit er seine Wohnung wieder nutzen kann.
Ich erinnere mich daran, dass ich fürs Party-Klo eine gute Viertelstunde anstehe und ich einen jungen Mann und ein Mädchen sehe, die vor mir zusammen in die Toilette gehen. Und ich schwöre, nach drei Minuten kommt nur noch der Mann raus, die Frau ist weg. Ich gehe rein, schau mich um, niemand da. Keine Tür, kein Fenster, die Frau bleibt verschwunden, ich lass‘ laufen.
Ich erinnere mich, wie die Polizei an diesem Abend die Party auflässt und neben dem Polizeiauto und vor den Augen der Partygäste ein rotes Auto geklaut wird.
Ich erinnere mich an das berühmte hebräische Schwartz-Räucherschinken-Sandwich am nächsten Tag, das zu 90% aus Fleisch und 10% aus Brot besteht.
Ich erinnere mich auch an Karl, den 76-Jährigen Amerikaner, der sich eines Abends zu unserer kleine Gruppe gesellt. Er wirkt etwas verlassen und zu alt für die Underground-Bar, in der wir uns befinden. Wir spielen Pool und er erzählt dem Mädchen in der Gruppe, dass er mit seiner Frau, seiner einzig großen Liebe, jahrelang um die Welt gereist ist, aber diese vor Kurzem verstorben sei. Nun reist er alleine. Er tut mir Leid und ich lade ihn ein, sich uns anzuschließen, weil wir weiterziehen. Er lehnt höflich ab, bedankt sich für das Spiel und bleibt alleine am Pooltisch stehen mit seinem Bier in der Hand. Kurz habe ich eine Vision einer möglichen Zukunft. Könnte ich irgendwann Karl sein? Die Vorstellung betrübt mich ein wenig.
Toronto ist meine nächste und letzte Station auf meiner Reise. Dort treffe ich John wieder, der sich in der Zwischenzeit Quebec City angeschaut hat. Wir fahren gemeinsam zu den Niagara-Fällen, ein Spektakel, das ich mir wohl nur gönne, um sagen zu können, dass ich dort war. Es ist, wie es immer ist, mit den Weltwundern: In der ersten halben Minute sehr eindrucksvoll und dann flaut die Faszination schon ab. Wir fahren nach einer Stunde mit ein paar netten Fotos im Gepäck nach Hause.
Toronto erkunde ich mit Couchsurfern oder alleine. Es ist eine tolle Stadt, eine gute Mischung aus New York und Wien. Die Stadt hat sehr viel zu bieten und ich könnte mir vorstellen, dort zu leben. Aber eigentlich will ich hier gerade gar nicht mehr bleiben. Ich will nach Hause. Zu meinen Freunden, meiner Familie. Zu meiner Freundin und zu meinen Arbeitskollegen. Das Team von whatchado ist ja inzwischen wieder gewachsen – ich ebenso, würde ich mal behaupten. Diese Reise hat mir sehr viel beigebracht, über ganz unterschiedliche Aspekte des Lebens. Ich denke an jeden meiner „pals for a week“ und ich bin dankbar, dass ich diesen Menschen begegnen durfte.
Auch wenn alles irgendwann vergeht, die Erinnerungen an diese geile Zeit kann mir niemand nehmen.
Ein letztes Mal genieße ich den tollen Ausblick von meinem Hostel in Toronto, bevor ich gemütlich meine Sachen packe und mich mit einem weinenden und einem lachenden Auge zum Flughafen aufmache.
(Das mit den Augen find‘ ich allerdings seltsam und mache noch einen Abstecher in diese sehr vertrauenserweckende Augenklinik. Leider ist keiner da.)
Ich möchte meinen Bericht mit einem englischen Wort abschließen, das sich als der wohl wichtigste Ratschlag für mein Leben herausgestellt hat. Es ist der Ratschlag, den ich schon so oft in den whatchado-Interviews von Leuten gehört habe, und der mich am meisten geprägt hat. Er sei jedem ans Herz gelegt.
~TRAVEL~
Danke fürs Lesen und Dabeisein.