Lukas Niederhauser, Caffeologe und Inhaber der Cafethek.
Lukas Niederhausers Karriere begann damit, dass er von der Schule flog. 30 Jahre und viele Arbeitsstationen später, fühlt sich der 47-Jährige als Kaffeeliebhaber und Inhaber der Cafethek ganz in seinem Element. Er röstet bei sich zuhause sortenreinen Kaffee und verkauft ihn auf dem Markt und an die Gastronomie. Seine schwierigste Aufgabe ist derzeit, die Kunden für mehr Säure zu begeistern.
Interview: Mathias Morgenthaler Foto: zvg
Herr Niederhauser, Ihre Berufslaufbahn begann auf Baustellen, später waren Sie als Hilfsmonteur, Nachtportier, Kreditsachbearbeiter und Berufsschullehrer tätig. Das sieht nicht nach ausgefeilter Karriereplanung aus.
LUKAS NIEDERHAUSER: Der Startschuss für meine Karriere war, dass ich mit 17 Jahren von der Schule flog. Ich hatte das 10. Schuljahr begonnen, war unmotiviert und galt als schwieriger, wenn nicht hoffnungsloser Fall. Durch den Schulabbruch wurde mir schlagartig klar, dass ich fortan für mich selber sorgen musste, wenn ich nach meinen Vorstellungen leben wollte. Damals war es zum Glück einfach, auf Baustellen einen Job zu finden. Ich schlug mich die nächsten Jahre mit Gelegenheitsjobs durch, lernte viel, aber hatte natürlich als Schulabbrecher keine tollen Perspektiven. Und ich merkte, wie ich in vielen Bereichen an meine Grenzen stieß, weil es mir an Grundlagenwissen fehlte. Deshalb nahm ich mit 25 Jahren das Ferngymnasium in Angriff.
Das hätten Sie auch einfacher haben können.
Ich brauchte diesen Umweg. Nach den Berufsjahren trieb mich ein großer Wissensdurst an, ich sog den Stoff auf wie ein Schwamm und war fast ein wenig enttäuscht, als ich die Matura in der Tasche hatte – weil ich gerne noch länger in dieser Breite gelernt hätte. Zudem machte ich in dieser Zeit die prägende Erfahrung, dass ich dem Zufall vertrauen kann. Immer, wenn es wichtig war, öffnete sich eine Tür und es ergaben sich Jobchancen. Klar, manchmal beneidete ich die Kollegen, die schon mit zwölf wussten, dass für sie nur ein Beruf in Frage kam – und dann alles diesem Ziel unterordneten. Bei mir gab es viele Richtungsänderungen, viele kleine Abenteuer. Heute sehe vor allem die Lebensqualität und die Vielseitigkeit, welche die Umwege mit sich brachten.
Eine andere Lesart wäre: Sie haben sich treiben lassen und immer nur auf zufällige Jobchancen reagiert.
Ich würde eher sagen, dass ich den Chancen, die sich boten, immer etwas Positives abgewinnen konnte. Vieles begegnet uns ja nicht zufällig, sondern dann, wenn es passt. Ein Beispiel: Ich konnte ohne Vorwissen bei einer Großbank als Kreditsachbearbeiter einsteigen. Bei der nächsten Reorganisation wurden alle Teilzeitstellen gestrichen – so auch meine. Ich begann, mich fürs Unterrichten zu interessieren, fragte eine Kollegin, die als Lehrerin tätig war, wie ich mittelfristig diesen Beruf ausüben könnte – und rutschte sogleich in eine erste Stellvertretung noch während des Jus-Studiums hinein. Danach verschob sich der Unterrichts-Schwerpunkt von Rechtskunde in Richtung Informatik, Weiterbildung und Coaching von Arbeitslosen.
Heute sind Sie nur noch in einem 30-Prozent-Pensum als Lehrer tätig und haben sich ansonsten ganz dem Kaffee verschrieben. Wie wurden Sie zum Coffeologen?
Auch das war eine Mischung aus Interesse und glücklichen Zufällen. Die Weiterbildung von Arbeitslosen war so organisiert, dass ich drei Wochen lang einen Intensivkurs gab und danach ein bis zwei Wochen frei respektive Zeit für die Vorbereitung des nächsten Kurses hatte. Diese Auszeiten waren ein Luxus. Ich trank in dieser Zeit gerne Kaffee und wunderte mich, wie wenig Informationen ich als Konsument über das Produkt erhielt. Spontan besuchte ich 2007 am «Ersten Österreichischen Institut für Kaffee-Experten-Ausbildung» einen viertägigen Kurs. Von diesem Moment an ließ mich das Thema nicht mehr los. Ich absolvierte die Ausbildung zum Coffeologen inklusive Barista-Zertifizierung und Besuch von Kaffeeplantagen in Brasilien. In der Folge nutzte ich fast jede freie Minute, um möglichst alles über Kaffee zu erfahren.
Wann wurde aus dem Hobby ein Teilzeit-Job?
Vor knapp drei Jahren fällte ich eine Grundsatzentscheidung: Statt mich im Lehrerberuf weiter zu qualifizieren, wollte ich wieder einmal selber eine Türe aufstoßen und auch beruflich der Leidenschaft für den Kaffee folgen. Ich gründete meine Firma Cafethek und investierte je rund 10’000 Franken in eine Röstanlage und in Rohkaffeeimport aus Brasilien, Indien und Mexiko. Um als Kaffeeexperte aufzutreten, wollte ich das Rösthandwerk beherrschen.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?
Ich hatte zu Beginn zwar einige Businessplan-Entwürfe geschrieben, aber bald gemerkt, dass ich einfach ausprobieren muss, was funktioniert und was nicht. Klar ist: Ich verkaufe meine eigenen Kaffeespezialitäten am Samstag auf dem Berner Münstergass-Märit – derzeit 15 sortenreine Kaffees. Dann biete ich Kurse für Laien und Profis an und möchte ein Partner der gehobenen Gastronomie werden. Ein Grundproblem besteht darin, dass das, was mich inhaltlich am meisten interessiert, marktwirtschaftlich kurzfristig gesehen unsinnig ist.
Wie meinen Sie das?
Meine Sensorik hat sich in den sieben Jahren der exzessiven Beschäftigung mit Kaffee stark verändert. Das Geschmacksempfinden vieler Kunden ist aber ein anderes: sie wollen nichts Neues entdecken, sondern ihren vertrauten, harmonischen Kaffee trinken. Als Röster weiß ich: Wenn ein Kaffee sein ganzes Potenzial entfalten soll, dann geht es nicht ohne Fruchtsäure. Entsprechend setze ich auf hellere Bohnen und tiefere Rösttemperaturen, damit auch Blumen-, Frucht- oder Beerennuancen voll zur Entfaltung kommen. Der wenig geschulte Konsument aber empfindet die Säure oft als störend. Es ist, als würde ich versuchen, Kinder mit Oliven statt mit Schokolade oder Bonbons zu erfreuen. Deswegen meinte ich: Marktwirtschaftlich betrachtet ist es suboptimal, dass ich meiner Kundschaft zunächst erklären sollte, warum das gut ist, was ich ihr hier anbiete.
Warum wagen Sie es trotzdem?
In den letzten Jahren gab es einen Boom der kleinen Röstereien – es kommt endlich Bewegung in diese lange Zeit sehr konservative Branche. Als Experte habe ich den Ehrgeiz, an der Speerspitze dieser Entwicklung zu stehen. Stellen Sie sich vor, wir würden heute noch wie vor 20 Jahren fast ausschließlich üppigen im Eichenfass ausgebauten Rotwein trinken. Das Wein-Wissen in breiten Bevölkerungskreisen hat sich enorm entwickelt, ebenso das Interesse an Varietäten und Raritäten. Ich hoffe beim Kaffee auf eine ähnliche Entwicklung. Deshalb trete ich auch gerne als Gastredner an Weinliebhaber-Anlässen auf. Dieses Publikum ist offen für neue Geschmackserlebnisse. Und ich starte in regelmäßigen Abständen Versuchsballone wie gerade jetzt die Lancierung eines Kaffeelehrpfades.
Wie sind die Reaktionen aus der Gastronomie?
Viele Betriebe sind mit langfristigen Verträgen an die großen Röster gebunden. Ich versuche, mit Zusatzangeboten, etwa einem hochwertigen «Kaffee des Monats», ins Sortiment zu kommen. Erfreulicherweise setzen die zahlreichen innovativen Mikroröster die etablierten Anbieter immer mehr unter Druck. Es ist grauenhaft, unter welchen Arbeitsbedingungen Kaffee in den letzten Jahrzehnten vielerorts geerntet wurde und wie viele Chemikalien im Spiel waren. Deswegen wird es zunehmend wichtig, dass der Weg von der Plantage in die Tasse transparent ist und das Angebot auch geschmacklich verbessert wird. Es gibt so viele Varietäten und Röstarten, da wäre es doch ein Jammer, überall den plusminus gleichen Kaffee zu trinken, dem die Seele aus dem Leib geröstet wurde.
Wo rösten Sie Ihren eigenen Kaffee?
Ich röste bei mir zuhause im Wohnzimmer, lebe also gewissermaßen in der eigenen Fabrik. Es ist schön, täglich mit einem so sinnlichen Produkt in Kontakt zu sein, aber auf Dauer ist es natürlich heikel, wenn Arbeit und Privatleben räumlich gar nicht getrennt sind – die Versuchung ist einfach zu groß, mitten in der Nacht noch etwas auszuprobieren oder im Pyjama Mails zu verschicken. Man schaltet nie ganz ab. Deshalb bin ich auf der Suche nach einem günstigen Produktionsstandort.
Trinken Sie in Restaurants überhaupt noch Kaffee?
Ja, aber richtigen Spaß bereitet es mir selten. Zum Glück bin ich ein Mensch, der eher die Stärken als die Fehler anschaut. Es gibt fast keinen Kaffee, bei dem nicht in einer Geschmacksnuance ein Potenzial auszumachen wäre.
Und wann werden Sie ganz vom Kaffee leben können?
Nächstes Jahr möchte ich soweit sein. Man kann das natürlich steuern, indem man den Lebensstandard und die Ansprüche wenn nötig gegen unten anpasst. Allerdings gibt es bei mir nicht mehr viel Luft gegen unten. Derzeit finanziere ich mit meinem 30-Prozent-Lehrer-Pensum 50 Prozent meines Lebensunterhalts; das Ziel ist eindeutig, ganz vom und für den Kaffee zu leben. Garantien gibt es keine, aber ich habe gelernt, höchstens ein bis zwei Jahre vorauszuschauen und Unsicherheit auszuhalten. Wir neigen als Gesellschaft dazu, uns stark zu verplanen und abzusichern. Manchmal ist es ganz gut, wenn genug Freiraum da ist, damit Neues und auch Unvorhergesehenes ins Leben treten kann.
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