whatchado Worldtour 2014: Rio, Räuber und Ronaldo

whatchado Worldtour 2014: Rio, Räuber und Ronaldo

Unser Globetrotter Manuel war drei Monate auf einem Trip rund um die Welt um Storys aus China, Korea, Kambodscha, Singapur, Brasilien, Kanada und den USA einzufangen.  Hier bloggt er über seine Erfahrungen. Weiter geht’s in Rio!

Geschlagene 2 Stunden irre ich auf dem Flughafen von Rio herum. Es scheint als wär ich in einem schlechten Adventure-Spiel gelandet und müsse nun absurde Aufgaben in einer vom Spiel vorgegebenen Reihenfolge lösen, damit ich heute noch zur Wohnung meines Gastgebers gelange. Da man sich hier ohne brasilianische Handynummer in kein WIFI-Netzwerk einloggen kann, sieht die Aufgabenstellung (in umgekehrter Reihenfolge) so aus:

Ziel: Meinen Gastgeber in der Stadt treffen << Gastgeber anrufen und Treffpunkt vereinbaren << brasilianische SIM-Karte kaufen, um Gastgeber anzurufen << SIM-Karten-Laden finden << brasilianisches Geld abheben, um SIM-Karte zu kaufen << Bankomat finden, um Geld für SIM-Karten-Kauf abzuheben.

Schon allein einen Bankomat am INTERNATIONALEN Flughafen von Rio zu finden, der meine Karte akzeptiert, ist eine Herausforderung. Alles andere wird nicht weniger komplizierter, da der Flughafen ein wenig einer Baustelle gleicht. Ich schaffe es aber mithilfe eines netten Herren mit Glatze und Brille, meinen Gastgeber zu kontaktieren (der ähnlich aussieht, nur mit Haaren statt Glatze) und sitze noch vor Einbruch der Dunkelheit im Bus Richtung Stadtzentrum. In der Nacht könnte es nämlich gefährlich werden, meint das Internet.

IMG_7749
Leo, mein Gastgeber ist sehr nett und drückt mir seinen zweiten Wohnungsschlüssel in die Hand. „You can leave and return any time of the day“. Er ist um die 30 und unterrichtet Virologie an der Uni. In den kommenden Tagen bin ich daher meistens auf mich allein gestellt – außer abends. Da essen und trinken wir gemeinsam und gehen auf Samba-Straßen-Feste.
Ich treffe Gio. Er arbeitet als Projektkoordinator für „Leaders of Tomorrow“ – eine Organisation die junge Menschen motiviert und untersützt, Misstände in ihren Gemeinden zu ändern, indem sie Projekte und Initiativen ins Leben rufen. Er führt mich durch die Straßen Rios und gibt mir eine kleine Geschichtsstunde und ein Interview. „I wanted to make sure that everybody could have the chances that I had,“ erklärt er im Interview. Da er selbst das Glück hatte, eine gute Ausbildung zu genießen, möchte er nun Schülern in Rio, die diese Möglichkeiten nicht haben, unter die Arme greifen.

Seine Meinung zur WM? Brasilien ist nicht bereit. (Ja, das war noch vor der WM) Es gibt keine gute Infrastruktur und die Milliarden-Beträge, die die Regierung so bereitwillig ausschüttet, sollten in ein besseres Sozialsystem investiert werden und der armen Bevölkerung helfen. Doch das passiert nicht und führt zu Unmut unter vielen Brasilianern. Gio ist nicht der Einzige, der so denkt. Fast alle, die ich dazu befrage, denken dasselbe. Ich verbringe insgesamt zwar nur 2 Wochen in Brasilien, merke aber schnell, das dieses Land unzählige Probleme hat, die zuerst behandelt gehören, bevor neue Fußballstadien gebaut werden. Da die dortigen Politiker und Entscheidungsträger selbst in soviel Korruption verwickelt sind, tut sich aber wenig.

IMG_7744
Auf diesem Foto, mein persönlicher Grund, warum ich dem öffentlichen Verkehrsnetz Rios nicht ganz so vertraue.

In den ersten Tagen in Rio fällt es mir schwer, enstpannt mit meinem Firmen-iPhone aus dem Haus zu gehen – das mir hauptsächlich als Kamera dient. Brasilien ist gefährlich. Vor allem für Touristen. Überfälle stehen leider an der Tagesordnung. Ich erinnere mich an die Worte von Alex, dem Brasilianer, den ich in Korea kennengelernt hatte. „Don’t wear fancy watches or shoes, always walk around with only pocket money.“ Ich halte mich an den Rat und stecke meine Fake-Geldtasche ein. Diese enthält 20 Reals (ca. 7€), eine abeglaufene Kreditkarte, einen abgelaufenen Studentenausweis sowie eine veraltete ecard. Außerdem hab ich immer ein altes Nokia Handy dabei. Ich bin also bestens vorbereitet. Sollte ich überfallen werden, werfe ich diese 2 Dinge auf den Boden und verschwinde. Hat man nämlich gar nichts dabei, so hat man mir gesagt, wäre das ähnlich gefährlich, als wenn man sich weigere, sein Zeug rauszurücken. Man sollte ihnen also immer etwas geben. „Have you ever been robbed?“, frage ich ein Mädel, das ich am Strand kennenlerne. „Of course! I live here“, sagt sie und lächelt.

Es gibt jede Menge Vorsichtsmaßnahmen, die man treffen kann und man ist relativ sicher. Das Wichtigste aber, was ich dort lerne, ist, mich mit der vorherrschenden Realität abzufinden und die Vorstellung zu akzeptieren, dass ich vielleicht bald selbst überfallen werde. Es mag komisch klingen, aber dieses beunruhigende Szenario als normal anzusehen, ist das Einzige, das ich tun kann, um Brasilien zu genießen. Nach dieser Erkenntnis fühle ich mich wesentlich entspannter und selbstbewusster. Ich klammere nicht mehr an meinem Rucksack, schaue nicht nervös hin und her und marschiere auch nicht mehr durch die Straßen, als müsste ich dringend aufs Klo.

Leo, der noch nie überfallen worden ist, verrät mir sein persönliches Erfolgsgeheimnis: „Never look into people’s eyes!“ In einem Land wie Brasilien? Wo alle so offen sind und gerne lächeln, soll ich niemanden in die Augen schauen? Schon bald stelle ich aber fest: Ich sehe keine lächelnden Gesichter. Die Leute in der U-Bahn sehen aus wie Wiener. Also, vom Gesichtsausdruck her. Niemand spricht miteinander, niemand wirkt glücklich. Ich fühle in meinen 2 Wochen allgemein leider nur wenig von der brasilianischen Lebensfreude. Aber das ist nur meine ganz persönliche Erfahrung.

Was Rio gut kann, ist mit schönen Plätzen anzugeben.

IMG_7693
Die Magie von Ipanema bei Sonnenuntergang und brasilianischer Live-Musik im Hintergrund entdecke ich leider zu spät, an meinem letzen Tag.

IMG_7696IMG_7760_Fotor
Brasilien von oben, auf dem Weg zur Christus-Statue.

IMG_7762_Fotor

IMG_7782

Ich suche mir den falschen Tag für Jesus aus, aber den richtigen, um dem Himmel ein Stückchen näher zu kommen.IMG_7866

Mit zwei Seilbahnen geht’s nämlich nach oben auf den Zuckerhut – ein von der Natur geschaffenes Wahrzeichen Rios, auf dem man aber inzwischen auch vom Menschen errichtete Schmuckläden findet. Und Obstsalat natürlich.

IMG_7864

Außerdem, was nicht drauf steht, sie haben auch Joghurt mit Früchten.

IMG_7859

IMG_7838

IMG_7827

In Rio lerne ich tolle Leute kennen, u.a. Pamela – eine Couchsurferin – und ihre Freundin Vanessa. Ich lade sie zum gemeinsamen Kochen mit mir und Leo ein und kann es kaum glauben, als Leo uns auf der Straße über den Weg läuft. Er begrüßt sie wie eine alte Freundin. „Kennt ihr euch?“, frage ich auf Englisch. Nein, sie kennen sich nicht, aber sie erklären es mir ganz einfach: „That’s Rio!“ Die „Carioca“ (so nennen sich die Leute aus Rio) behandeln eben auch Fremde wie Freunde. Ich finde also doch noch etwas brasilianische Lebensfreude in dieser kleinen Geste und wir machen uns gemeinsam daran, italienische Lebensfreude in Form von Spaghetti zuzubereiten.

IMG_7672

Ich versuche einen günstigen Flug zu den Iguazu-Fällen zu finden, scheitere aber, da die angezeigten Preise nur für Brasilianer gelten. Touristen müssen die teuren Airlines nehmen. Nach langem Überlegen, ob ich eventuell mit dem Bus fahren solle, entscheide ich mich dafür, Iguazu ganz auszulassen. Der wahre Grund ist tatsächlich einfach: Ich fühle mich grad nicht danach, dieses Weltwunder anzuschauen. Nicht allein. Nicht dieses Mal. Nachdem ich die Tempel in Kambodscha mit meiner Freundin gemeinsam gesehen hatte, würde mir hier etwas fehlen. Nämlich das Gefühl, etwas so Außergewöhnliches mit einem anderen Menschen, den man gern hat, zu teilen. Ich weiß, ich könnte es momentan einfach nicht ausreichend genießen und beschließe, dass ich irgendwann zurückkehre. Dieses Mal aber steige ich in den Bus nach Sao Paolo. Diese Stadt war eigentlich nicht auf meiner ursprünglichen Reiseroute, aber es gibt wieder Arbeit zu tun. VOITH Brasilien, ich komme!

 

Nächster Halt: Sao Paolo!

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.