Beruf + Berufung: Wenn Gartenschläuche zum Karrieresprungbrett werden

Beruf + Berufung: Wenn Gartenschläuche zum Karrieresprungbrett werden

B+B_Olivier_BernhardOlivier Bernhard, Unternehmer und Laufschuh-Entwickler

Vor fünf Jahren suchte Olivier Bernhard Investoren und Fabrikanten für die Herstellung eines neuartigen Laufschuhs mit Gummiringen an der Sohle. Seine Idee sei mechanisch nicht zu realisieren und ökonomisch ein Unsinn, sagte man ihm. Doch der ehemalige Weltklasse-Triathlet ließ sich nicht beirren. Heute werden seine «On»-Schuhe in 25 Ländern verkauft, viele Spitzensportler schwören darauf.

Interview: Mathias Morgenthaler    Fotos: ZVG

 

Herr Bernhard, viele Spitzensportler tun sich schwer damit, nach dem Ende ihrer Karriere im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Wie haben Sie den Übergang erlebt?

OLIVIER BERNHARD: Ich hatte das Glück, mich zwischen 1994 und 2005 professionell dem Duathlon und Triathlon widmen zu können. Dank der Sponsoren konnte ich gut vom Sport leben. Es gab allerdings schon im Jahr 2000 eine erste Zäsur: Als meine Frau erstmals schwanger wurde, wuchs unser Sicherheitsbedürfnis. So baute ich ein zweites Standbein auf, indem ich Sportler und Manager coachte in den Bereichen Trainingsplanung, Ernährung und mentale Stärke. So gesehen stand ich nicht vor dem Nichts, als ich 2005 wie geplant vom Spitzensport zurücktrat.



Wie kamen Sie auf die verrückte Idee, einen eigenen Laufschuh zu produzieren?

Ausdauersportler sind alle ein wenig verrückt. Ich war immer ein großer Tüftler. Als Triathlet versuchst du immer, mit kleinen Optimierungen noch besser zu werden. So schaute ich auch immer genau hin, wie die Besten laufen, ein Haile Gebrselassie zum Beispiel. Zudem verfolgte ich die Entwicklungen in der Schuhindustrie genau, nicht nur bei den Laufschuhen, auch die Geschichte von Masai Barefoot Technology, kurz MBT. In meiner letzten Saison litt ich unter Achillessehnenproblemen. In dieser Zeit fragte mich ein ETH-Ingenieur aus Zürich, ob ich sein neues Schuhsystem ausprobieren möchte. Er litt unter Arthrose im Knie und hatte sich viele kleine Stücke eines Gartenschlauchs unten an seine Laufschuhe geklebt. Etwas widerwillig testete ich die Schuhe und fühlte mich, als würde ich barfuß über eine Wiese rennen. Nach sechs Wochen waren meine Achillessehnenprobleme verschwunden.



Dachten Sie sofort daran, ein eigenes Unternehmen zu lancieren?

Nein, ich blieb einige Jahre Testläufer und war froh, wieder schmerzfrei zu laufen. Eines Tages ging ich auf meinen ehemaligen Agenten Caspar Coppetti zu, der als Werber tätig war, und fragte ihn, ob er helfen würde, einen neuen Laufschuh zu lancieren. Er lachte mich aus und sagte, in jedem Laufgeschäft stünden 150 Schuhmodelle zur Auswahl, da brauche es keinen neuen Schuh mit Schläuchen unter der Sohle. Ich ließ nicht locker und brachte ihn dazu, den Schuh zu testen. Drei Wochen später kam er wieder auf mich zu und brachte David Allemann mit, einen früheren Arbeitskollegen aus McKinsey-Zeiten. Von da an ging es sehr schnell. Wir suchten uns einen Sourcing-Partner in China, produzierten erste Prototypen, gründeten im Januar 2010 die Firma On und gewannen einen Monat später schon einen Preis in München, den «ISPO Brand New Award» für Innovation im Sport.



Und wie passte das Abenteuer Unternehmertum zum erhöhten Sicherheitsbedürfnis des dreifachen Familienvaters?

Eigentlich schlecht, denn wir brauchten mehrere Hunderttausend Franken Startkapital und finanzierten das privat. Meine beiden Partner gaben zusätzlich gut dotierte Managementjobs auf. Im Rückblick staune ich selber über unseren Mut und unsere Naivität. Aber als Sportler ist man geübt im Umgang mit Risiken. Ich sah glücklicherweise nicht alle Gefahren und wog nicht zu lange ab. Ich war einfach hingerissen von diesem neuartigen Laufgefühl und war überzeugt, dass das viele Leute begeistern wird. Ich bin in meiner Spitzensportzeit sicher sieben verschiedene Schuhmarken gelaufen. Alle waren ok, aber technologisch alle sehr ähnlich. Dass man aber einen Schuh bauen kann, der beim Aufprall perfekt dämpft und beim Abstoßen direkt die Energie umsetzt, das war wirklich neu.



Wie reagierte der Fachhandel auf die Innovation?

Die erste Reaktion war meistens: «Wenn das so revolutionär ist, wie ihr sagt, warum hat das nicht längst eine der großen Marken gemacht?» Vermutlich war genau das unser Vorteil: Dass wir ein kleines Team von lauter Quereinsteigern sind. Wir stellten die grundlegenden Fragen und beschränkten uns auf die elementaren Dinge. Und weil ich in der Branche dank meiner vielen Erfolge einen guten Namen hatte, wurden wir insgesamt ernst genommen. Entscheidend war, dass wir sehr früh erste Anfragen von bekannten Sportlerinnen erhielten. Tegla Loroupe, zweimalige Siegerin des New-York-Marathons, wollte den Schuh testen und bekam damit ihre Rückenprobleme in den Griff, bald folgten die Triathletinnen Caroline Steffen und Nicola Spirig, beides Weltklassesportlerinnen. Und im letzten Jahr lief Frederik Van Lierde am Ironman in Hawai in unserem Schuh zum Sieg.



Sie starteten 2010 mit einer Produktion von 10’000 Schuhen. Wird man da in China überhaupt ernst genommen?

Der Anfang war schwierig. Immer wieder hörten wir: «Was ihr wollt, ist nicht möglich, das kann rein mechanisch gar nicht funktionieren.» Andere sagten schlicht: «So etwas haben wir noch nie gemacht.» Ich mag die Kombination von «nicht möglich» und «noch nie gemacht» – das ist ein untrügliches Anzeichen für eine echte Innovation. Ich legte all meine Ausdauer, Beharrlichkeit und Sturheit, die ich mir als Triathlet angeeignet hatte, in die Waagschale und kam Schritt für Schritt voran. In den ersten zwei Jahren war der Schuh anfällig, die Gummiringe hielten der Belastung nicht wunschgemäß stand. Den Durchbruch erzielten wir 2013, als wir die Produktion nach Vietnam verlegten. Inzwischen halten unsere Schuhe gleich lange wie jene der Konkurrenz.


Aber Sie sind noch immer ein Nischenplayer.

Wir sind sehr schnell gewachsen – fast zu schnell, wenn man bedenkt, dass es ein Jahr dauert, bis wir das investierte Geld vom Handel wieder zurückbekommen. Dank zwei Kapitalerhöhungsrunden können wir nun das weitere Wachstum finanzieren. Wir sind heute schon in 25 Ländern präsent, in Deutschland und den USA haben wir bei manchen Fachhändlern große Mitbewerber aus dem Sortiment verdrängt. 2014 ist für uns ein richtungsweisendes Jahr. Wir wollen nicht in der Nische bleiben, sondern den großen Marken Anteile abknöpfen.



Haben Sie keine Bedenken, dass Ihnen das Business über den Kopf wachsen könnte?

Nein, wir sind ein starkes Team. Wir haben das dreiköpfige Gründerteam durch einen Finanz- und einen Logistikfachmann ergänzt und auch bei den neuen Investoren sehr genau darauf geachtet, dass sie nicht nur Geld, sondern auch nützliches Wissen einbringen, etwa über neue Märkte. So kann ich mich auf das konzentrieren, was mir jeden Tag großen Spaß macht: die Weiterentwicklung dieses verrückten Schuhs. Wir stehen noch immer ganz am Anfang.

 

 

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Das On-Gründerteam David Allemann, Caspar Coppetti und Olivier Bernhard (v.l.n.r.).

 

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Das Buch zum Thema: www.aussteigen-umsteigen.ch

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