Carsten Peter, Naturfotograf und Grenzgänger
Als Kind kletterte er in Steinbrüche und Höhlen, mit 17 Jahren auf den Kraterrand des Stromboli. Doch Carsten Peter ist nicht nur ein Entdecker und Abenteurer, sondern auch einer der renommiertesten Naturfotografen der Welt. «Es ist eine Art Jagdtrieb, der mich immer wieder zu neuen Expeditionen aufbrechen lässt, ein Ankämpfen gegen Begrenzungen», sagt der 55-Jährige.
Interview: Mathias Morgenthaler // Fotos: Carsten Peter
Herr Peter, Sie begeben sich als Fotograf immer wieder in Extremsituationen. Von welcher Expedition kehren Sie gerade zurück?
CARSTEN PETER: Zuletzt habe ich teilweise unerforschte Höhlen in China erkundet. Details kann ich Ihnen keine verraten, weil die Geschichte noch nicht veröffentlicht ist. In Höhlen steige ich seit 35 Jahren immer wieder. Das sind heute die wohl letzten Refugien für Neuentdeckungen, alles andere ist x-fach fotografiert und von Satelliten ausgemessen. Wer die Geheimnisse von Höhlen erkundet, verlässt den gewohnten Rhythmus. Handy- und Mail-Impulse dringen nicht in diese Welt vor, die Wahrnehmung reduziert sich in wohltuender Weise auf das Elementare.
Ist es auch die Gefahr, die Sie anzieht?
Was mich antreibt, ist der Forschergeist und die Ambition, Dinge zu zeigen, wie man sie noch nicht gesehen hat. Das setzt Erfahrung, Mut und viel Training voraus. Die Gefahr ist eine Begleiterscheinung, nicht der Hauptzweck. Aber ich gebe gerne zu: Als junger Fotograf war ich erschreckend leichtsinnig. Die Neugier war so viel grösser als die Angst. Ich erinnere mich, wie ich als 17-Jähriger auf meiner ersten Reise ohne Eltern euphorisch auf den Stromboli kletterte und irgendwann komplett ahnungslos am Kraterrand stand. Dann gab es eine gewaltige Explosion und die Lavafetzen flogen mir buchstäblich um die Ohren. Das war eine von mehreren Situationen, in denen ich haarscharf mit dem Leben davongekommen bin.
Sind Sie in der Zwischenzeit durch Erfahrung klug und vorsichtig geworden?
Ich gehe noch immer näher ans Limit als andere, aber verglichen mit dem jungen Carsten Peter würde ich heute von kalkuliertem Risiko sprechen. Ohne Restrisiko ist das Besondere aber nicht zu haben. Wenn ich in den Krater des Nyiragongo-Vulkan im Kongo hinunterklettere, bis ich direkt am Lavasee stehe, gibt es immer einen unkontrollierbaren Teil. Die Lava kann ohne Vorwarnung überfließen oder ich habe Pech und werde vom allgegenwärtigen Steinschlag im Kraterinnern getroffen. Gegen das Meiste kann man sich aber vorsehen. Ein gutes Team, Schutzanzüge, Gasmasken und Funkkontakt mit anderen Expeditionsteilnehmern reduzieren das Risiko.
Für Ihre Eltern muss Ihre Abenteuerlust qualvoll gewesen sein.
Meine Eltern hätten sich natürlich gewünscht, dass ich etwas Rechtes lerne und dabei mehr auf Sicherheit setze. Ich war aber von ganz klein an ein großer Trotzkopf und machte meistens, was ich wollte. Als knapp 20-Jähriger verließ ich mein Elternhaus fluchtartig und brach mit dem Motorrad zu einer Afrika-Expedition auf. In der Folge studierte ich Biologie, kehrte allerdings oft mit Verspätung und eingegipstem Bein an die Uni zurück, weil ein Abenteuer seinen Tribut gefordert hatte.
Sie haben schon in ganz jungen Jahren Steinbrüche und Höhlen in Bayern auf eigene Faust erkundet. Wann kam die Fotografie dazu?
Mit 15 Jahren erhielt ich meine erste Kamera – und war augenblicklich wie besessen von der Fotografie. Ich verschlang Dutzende von Lehrbüchern, las zunächst viel darüber, was man nicht machen sollte… und probierte es erst recht aus. So fotografierte ich trotzig in die Sonne und wagte mich als Greenhorn schon an die Makro-Fotografie heran. Im Alter von 21 Jahren hatte ich schon 20 Kameras auf dem Gewissen, weil ich immer ans Limit ging. Das ging ins Geld, und ich lernte bald, die Dinger selber zu reparieren und umzubauen.
Wann konnten Sie erstmals vom Fotografieren leben?
Wenn ich jetzt sagen würde, ich hätte mir das Studium finanziert mit Reisereportagen, wäre das nur die halbe Wahrheit. Denn es kam vor, dass der Gerichtsvollzieher an die Tür klopfte, weil ich Rechnungen über lange Zeit schuldig geblieben war. Ich suchte das Abenteuer, auch dann schon, als ich es mir eigentlich noch gar nicht leisten konnte. Manche Dinge muss man einfach machen – koste es, was es wolle. Es ist eine Art Jagdtrieb, der mich immer wieder zu neuen Expeditionen aufbrechen lässt, ein Ankämpfen gegen Begrenzungen. So reizte es mich immer, an Orten zu fotografieren, wo es eigentlich zu wenig Licht hat, in Höhlen oder tief im Meer. Oder die Wüste und Tornados in neuem Licht zu zeigen.
Hat Ihre Arbeit über die Selbstverwirklichung heraus einen Sinn?
Ich habe große, fast schon religiöse Ehrfurcht vor der Natur. Wenn ich sehe, wie wenig wir Menschen diese Natur respektieren, wie wir sie vernichten und knechten, indem wir Wälder roden, indem wir sie mit unserem Müll ersticken, indem sich die Agrarindustrie überall hineinfrisst, dann halte ich das für eine große Katastrophe. Ich will die Natur in ihrer ganzen Schönheit zeigen, den Menschen vor Augen führen, wie fragil selbst die Wüste ist, die wir gerne für tot halten. Der Mensch verhält sich in der Natur wie ein Parasit, er versucht sie vergeblich zu beherrschen, er beutet sie aus und manipuliert das Ökosystem, ohne es richtig zu verstehen.
Gibt es für Sie das perfekte Bild oder was macht den herausragenden Fotografen aus?
Ich bin nicht auf der Jagd nach dem perfekten Bild, sondern will Geschichten erzählen. Herausragende Fotografen haben ihre eigene visuelle Handschrift, es gelingt ihnen, den Betrachter immer wieder zu überraschen und dieser immensen Bilderflut etwas Neues, noch nicht Gesehenes gegenüberzustellen. Wenn das gelingt, dann hat ein Bild die Qualität, mehr zu erzählen als tausend Worte und stärkere Emotionen auszulösen als alle anderen Medien. Aber die Konkurrenz ist größer denn je. Dank der technologischen Entwicklung wurde die Fotografie zum Allgemeingut, die Resultate sind im Handumdrehen publiziert – ein Smartphone und eine Facebook-Seite reichen aus.
Sind Sie glücklich, wenn Sie arbeiten, oder mehr ein Getriebener?
Ich folge meiner Sehnsucht, immer wieder aufzubrechen und intensive Momente in der Natur zu erleben – das ist ein körperlich erfahrbares Glück. Die Kehrseite davon ist, dass ich jedesmal, wenn ich auf Expedition bin, so viele phantastische Dinge in meiner bayrischen Heimat verpasse. Das Leben ist einfach zu kurz, und man müsste sich klonen können, um all die Schönheiten der Erde zu erfahren. Die Jahre rauschen vorbei und die Liste der Dinge, die ich noch machen möchte, wird länger – so gesehen bin ich auch ein Getriebener. Manchmal gehen mir ganze Jahreszeiten flöten, weil ich in Höhlen oder Vulkanen herumklettere und verpasse, wie die Knospen hier treiben. Meine Arbeit hört jedenfalls nie auf. Jede Expedition lässt die Sehnsucht nach zehn weiteren aufkommen.
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