„Mathe ist einfach nicht mein Ding!“ Diesen Satz hab ich schon so oft gehört und ich hab die Schnauze voll davon. Zugegeben, auch ich bekenne mich schuldig, das nicht nur einmal im Leben gesagt zu haben. „Ich bin kein Mathemensch“ gehört wahrscheinlich zu einem der selbstzerstörerischsten Irrglauben über sich selbst. Du denkst dir vielleicht gerade: „Aber Mathe ist wirklich nicht mein Ding“, doch ich werde dir jetzt verraten, warum das nicht stimmt und warum du und sogar ich, die tendenziell jedes Schuljahr in Mathe eine Prüfung zwischen gerade noch „Genügend“ und „Nicht genügend“ machen musste, sehr wohl „Mathemenschen“ sind.
Soweit ich mich zurückerinnern kann, geht der Mythos um, Verständnis für Mathematik wäre genetisch veranlagt. Manche verstehen’s eben und manche nicht. So wie manche eben g’scheit sind und manche dumm. Es gibt mehrere Studien, die beweisen, dass Intelligenz – vor allem bei jungen Menschen – nicht mal zur Hälfte auf genetische Veranlagung zurückzuführen ist. Also zum Teil schon. Das heißt, ich versuche hier keinen zu überzeugen, dass er oder sie ein Mathematiker wie Terence Tao wird (das australische Mathewunderkind, das mit 12 Jahren damals der jüngste Teilnehmer und Goldmedaillengewinner der Mathematikolympiade war), aber das muss auch nicht sein. Ich rede von Schulmathematik, für die angeborenes Talent nicht annähernd so wichtig ist wie harte Arbeit, gute Vorbereitung und Selbstvertrauen.
Eine selbsterfüllende Prophezeiung
Lehrer, die dieses Phänomen kennen, machen immer wieder dieselbe Erfahrung: Schülerinnen und Schüler kommen mit unterschiedlichem Vorwissen zu ihrem ersten Mathetest. Manche dieser Kinder haben Eltern, die sie von klein auf auf Mathe gedrillt haben, während andere diesen elterlichen Input nie hatten. Die besser vorbereiteten Kinder schneiden überdurchschnittlich gut ab, die weniger gut vorbereiteten Kinder improvisieren und schneiden schlechter ab. Keiner von ihnen kennt den vorherigen Aufwand der anderen Eltern und Kinder und alle gehen davon aus, dass ihre Leistung auf eine genetische (Un-)Fähigkeit zurückzuführen ist. Die schlechter vorbereiteten Kinder denken folglich, sie wären eben keine „Mathemenschen“, strengen sich deshalb in Zukunft weniger an und fallen immer weiter zurück. Die gut vorbereiteten Schüler hingegen gehen davon aus, dass sie „Mathemenschen“ sind. Daher strengen sie sich in Zukunft noch mehr an und festigen somit ihren Vorteil.
Zu glauben, dein Matheverständnis könnte man nicht ändern, wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Das bedeutet, dass du durch dein Verhalten und deine Einstellung wirklich schlecht in Mathe wirst oder im besten Fall eben noch besser.
50 Shades of Grey
Die weitverbreite Annahme, mathematisches Verständnis läge in den Genen, ist nur ein Teil des Irrglaubens, dass Intelligenz genetisch veranlagt sei. Daher kommen gut gemeinte, motivierende Sprüche wie „Du kannst alles schaffen!“ oder „Es gibt keine Grenzen!“ auch manchmal etwas plump rüber. Zu oft habe ich Sätze wie „Ja natürlich kann der/die das, der/die ist ja auch uuur intelligent“ gehört. Glaubt mir, es gibt kaum Wunderkinder. Es gibt aber etwas, das viele erfolgreiche Menschen, die wir manchmal für hyperintelligente Wunderkinder halten, gemeinsam haben.
Ich muss mich an dieser Stelle outen: Ich habe letzte Woche „50 Shades of Grey“ im Kino gesehen und mir hat sich da ein Satz ins Hirn gebrannt. Nicht, was ihr vielleicht denkt. Die Hauptdarstellerin fragt die männliche Hauptrolle, einen jungen Selfmade-Millionär, worauf er seinen Erfolg zurückführt und ob er nicht vielleicht einfach nur Glück im Leben hatte. Daraufhin erwidert er: „The harder I work the more luck I seem to have.“ Zu Deutsch: „Je härter ich arbeite, desto mehr Glück scheine ich zu haben.“
Hier wären wir wieder bei der selbsterfüllenden Prophezeiung. Die meisten erfolgreichen Menschen teilen eine wichtige Eigenschaft: Sie wissen, dass sie nicht ein bestimmtes Maß an Intelligenz haben, an dem sie nichts ändern können, sondern, dass sie beeinflussen können, wie intelligent sie sind.
Die innere Überzeugung, Einfluss auf deine Umstände, dein Leben, dein Glück und deine Intelligenz zu haben, gibt dir die Macht wirklich alles zu tun, was du willst. Muss doch scheiße sein, mit dem Glauben durch’s Leben zu gehen, man wäre dumm und dazu verdammt dumm zu sterben. Es ist eine Lüge. Es ist einfach nicht wahr. Dein IQ hängt davon ab, wie hart du arbeitest und was deine Prioritäten sind.
Es muss nicht jeder ein „Mathemensch“ sein. Oder doch?
Warum gerade Mathematik thematisiert wird? Erstens, weil du dir mit dem Irrglauben, mathematisches Verständnis hätte nur etwas mit deiner DNA zu tun, viele Chancen im Beruf nimmst, da heutzutage viele gute Jobs nun mal Basic Mathematik Skills erfordern. Dich selbst im Vorhinein schon so zu limitieren, weil du ja „nicht so mit Zahlen kannst“ ist deswegen besonders destruktiv. Außerdem scheint Mathematik das Gebiet zu sein, wo dieser Irrglauben am tiefsten verankert ist. Mathe kann jedoch auch für andere Skills stehen, an die du dich bis jetzt nicht herangetraut hast, weil du denkst, sie liegen dir nicht. Wenn ich dich also davon überzeugen kann, dass auch du ein Mathemensch bist, wenn du nur hart genug daran arbeitest, dann ist der Weg dich zu überzeugen, dass du so gut wie alles erlernen kannst, nicht mehr weit .
Jetzt braucht es nur noch Mut!
Du kannst so viel mehr als du glaubst und dir zutraust. Sei mutig und folge deinen Träumen. Ob Mut genetisch veranlagt ist? Nein. Seinen inneren Schweinehund zu ignorieren und ihm eine Ohrfeige zu verpassen, jedes Mal wenn du vor einer neuen Herausforderung stehst und am liebsten weglaufen möchtest, kann man genauso trainieren. Ein guter und praktischer Tipp, der meine Ansicht auf den lieben Schweinehund komplett verändert hat, ist „The Flinch“ von Julien Smith. Dieses kurze Buch thematisiert, wie du an deine Grenzen stößt und die Motivation findest Sachen zu machen, die du beängstigend findest. Es ist gratis und online erhältlich und hat nur 35 Seiten, weswegen ich es in Momenten der Schwäche und Selbstzweifel schon wiederholt gelesen habe. Es erklärt dir, warum du zurückschreckst vor dem Unbekannten, Unangenehmen, dem Neuen und zeigt dir Übungen wie du dich selbst überlisten kannst und nicht mehr kneifst.
Mit den Übungen aus „The Flinch“ lernt man sich an den Moment kurz vor einer unangenehmen Situation zu gewöhnen und ihn zu überwinden. In der ersten Übung: eine kalte Dusche. Es geht laut Julien Smith hauptsächlich darum, sich den Reflex des Zurückziehens abzugewöhnen. Und das funktioniert mit allem. Je öfter du dich Situationen aussetzt, die du als unangenehm empfindest und es dann schaffst sie zu überwinden, desto einfacher wird es. Du wirst regelrecht neue Herausforderung suchen und dich auf den Moment freuen, wenn du deinem inneren Schweinehund den Stinkefinger ins Gesicht halten kannst.
Unser Motto „Es gibt keine Grenzen!“ ist also nicht plump daher gesagt. Ja, du bist ein Mathemensch, ein kreativer Mensch, ein Sportmensch, ein was-immer-du-willst-Mensch.
Inspirationskick gefällig? Sieh dir unser Best-of-Inspiring-Stories-Video an!
PS. Wir haben noch keinen Mathematiker auf WHATCHADO. Kennst du jemanden, den wir interviewen könnten? :D
Angelehnt an: There’s only one key difference between kids who excel at math and kids who don’t © October 27, 2013: Miles Kimball and Noah Smith, as first published on Quartz. Used by permission according to a temporary nonexclusive license expiring June 30, 2015. All rights reserved.
Hallo Roland!
Vielen Dank für dein Kommentar und den Blog-Tip! :)
LG,
Emina
Lieber Karl,
nach Beendigung meiner beruflich aktiven Zeit habe ich weiterhin interesse an meinem Fach Mathematik. Du nennst es ein Fach „von erhabener Schönheit“. Ich nenne es ein grandioses Spiel des Geistes, desse tiefe Ästhetik immer wieder aufblitzt. Mehr dazu auf meiner Seite https://mathemagisch.wordpress.com/
Mit kollegialen Grüßen
Roland Schröder
Hallo Emina,
danke für Dein freundliches, wohlreflektiertes Signal! Habs erst spät entdeckt. Gern können wir ein Interview machen, wenn ich mal ausgeschlafen bin, momentan reissts mich um mit Terminen, u a organisier ich grad einen Mathe-Wettbewerb und einen Hochbegabten-Förderkurs, uvam. Ja, man kann durchaus von einer Berufung sprechen, obwohl es ein zeitweise steiniger Weg dorthin war und ich mich durchaus auch noch weiterhin sehr stark für die Wissenschaft berufen fühle, aber der Tag hat nur 25 Stunden ;)
Vielleicht kann ich ja mal ein scientific sabbatical einlegen und bis dahin lebe ich so gut wie möglich eine gewisse Symbiose der didaktischen und der forschenden Leidenschaft, zB im Fach ‚Intelligente Systeme‘, das ich auch unterrichte, wo man einen ziemlichen Spielraum hat, alles mögliche exotische an Wissenschaft unter die jungen Leute zu bringen von Chaostheorie über genetische Algorithmen, neuronale Netze, zelluläre Automaten, formale Grammatiken, non-greedy algorithms, soft computing, fuzzy logic, … bis hin zu Quantencomputern! Das tolle daran ist, dass vor ein paar Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, trotz der strengen Mathematik im Hintergrund geht man von der ‚preussischen‘ Starrheit ab und lässt etwa Zufall walten, lässt Spielräume, Umwege in den Algorithmen, sanfte Übergänge zu, schaut sich eine Menge aus der Biologie ab und kommt witzigerweise dadurch in vernünftiger Zeit zu hochqualitativen Lösungen komplexer Aufgaben, die vorher Rechenzeiten in der Größenordnung des Alters des Universums erfordert hätten!!! Wer ein Ziel gierig und phantasielos mit brute force ansteuert, kriegt gar nix! Welch wundervolles Gleichnis für alle anderen Lebensbereiche! Vorsicht, ich red auch so viel, wie ich schreib …
Schick mir einfach bei Gelegenheit eine mail (Adresse habt Ihr ja?).
LG, Karl
Hallo Karl!
Danke für dein ausführliches Kommentar. Ich freu mich sehr, dass der Artikel Anklang gefunden hat! Hört sich an, als hättest du in deiner Funktion als Lehrer deine Berufung gefunden – sehr spannender Hintergrund! Das Rechnen an der Tafel finde ich auch wichtig! Man muss der Angst eben auch mal ins Auge schauen, gibt wohl auch wenig befriedigenderes als wenn man dann die Aufgabe gelöst/verstanden hat! :) Hättest du denn Lust ein Interview für uns zu machen, in dem du uns mehr zu deinem Beruf und Werdegang erzählst?
Beste Grüße,
Emina
Danke für diese wichtigen Gedanken zu einem Dauerbrenner!
Ich kenne einen Mathematiker, der sich teilweise heute noch mit Wechselgeld schwer tut, der mit vierzehn beinahe in Mathe durchgefallen ist, der die erhabene Schönheit und innere Unbetrügbarkeit dieser Wissenschaft aber leidenschaftlich liebt, sie zeitweise wie eine künstlerische Tätigkeit ausübt, nicht davor zurückschreckte, als Wissenschaftler eingefahrene Lehrmeinungen in Publikationen auf den Kopf zu stellen und der sich täglich auf die Herausforderung, jungen frischen Geistern das Fach auf der lustigen, kabarettartigen und vernetzenden Schiene an einer Wiener HTL näherzubringen, freut.
Mich nämlich. Soweit jemand sagen kann, sich selbst überhaupt zu kennen …
Was ich alles tun muss, um die Traumata meiner Schützlinge, denen vorher vielfach eingebläut wurde, wie dumm sie seien, die fürs Fragen bestraft wurden, was ich alles aufführe, um diese Widerlichkeit und Kleingeistigkeit wieder umzupolen, ist unsagbar! Du musst ihnen das Fragen wieder angewöhnen, sie ein wenig liebevoll verarschen, wenn sie wiedereinmal sagen, dass sie das nie können werden: „Reden sie sich’s nur ein, dann wird’s auch so sein!“
Ein wichtiges Instrument hierbei: Die Arbeit an der Tafel. Die/Derjenige, die/der meint, das Beispiel am schlechtesten zu können, soll sich melden. Nicht um fertiggemacht zu werden und mit einem Fetzen wieder reingeschickt zu werden, sondern, um einen persönlichen crash course mit Nutzen für alle Anderen zu erhalten! Dabei kanns lustig hergehen …
Und dann gibts auch noch die, denen Du die Sache so näherbringen kannst, dass sie Blut geleckt haben, mehr davon haben wollen, so lang zum Direktor pirschen bis der im Ministerium anruft, um mitten im Jahr ein Freifach höhere Mathematik aus dem Boden zu stampfen!
Was für eine befriedigende Tätigkeit, wenn man sich nicht gerade wieder mit von oben diktierten, undurchdachten Reformen herumschlagen muss!