Am Mittwoch, 04. März 2015, war es wieder soweit. Die erste whatchACADEMY des Jahres ging über die Bühne, besser gesagt über die Bildschirme. Das Thema diesmal: Lehrlingsrecruiting 2.0. Wie rekrutiert und erreicht man potenzielle Auszubildende in Zeiten von Facebook, WhatsApp & Co? Zu Gast waren zwei Experten auf dem Gebiet des Lehrlingsrecruitings: Robert Frasch, Co-Founder von lehrlingspower.at, das einzige unabhängige Netzwerk für Ausbildungsbetriebe in Österreich, und Christian Schendlinger, Leiter des Lehrlingsmanagements der Stadt Wien. Unser Jubin (Co-Founder & Chief Seller WHATCHADO) hat durch den Talk geführt und Schlagwörter wie „soziale Verantwortung, Überakademisierung und sinkendes Bildungsniveau“ diskutiert.
Trends vs. Werte
Gleich zu Beginn hält Christian fest, dass die Stadt Wien nicht über Facebook rekrutiert. Sie setzen auf klassische Printmedien, Tageszeitungen, TV-Spots, Audio Jingles und vor allem auf persönliche Präsenz auf Fachmessen wie dem „Tag der Lehre„. Zudem steht die Stadt Wien in engem Kontakt zu Schulen, aus denen sie Klassen zu sich einlädt oder selbst vor Ort in den Schulen vertreten ist.
Christian argumentiert, dass es als Organisation besonders wichtig ist, authentisch zu bleiben und nicht jeden Trend mitzumachen. Die Stadt Wien sei neuen Medien gegenüber generell nicht unaufgeschlossen, aber man müsse nicht um jeden Preis auf jeden Zug aufspringen. Sie befänden sich gerade in einer Phase verstärkter Markenentwicklung bei der Stadt Wien und dabei sei es wichtig zu wissen, was die eigenen Werte sind, wofür man steht und auf welche Art und Weise man sich der Zielgruppe nähern möchte. Diese sollte nämlich auch zum Unternehmen passen. Die Stadt Wien möchte mit Vielfältigkeit und Qualität der Ausbildung oder beispielsweise sozialer Sicherheit, die für viele Jugendliche heute vermehrt wichtig ist, überzeugen.
Robert erinnert in dem Zusammenhang an einen vergangen whatchACADEMY Talk mit Robindro Ullah (Head of Employer Branding und HR Communication bei Voith) der damals Folgendes setzte: „Wenn ich heute über Social Media rekrutieren möchte, muss ich auch dann online sein wenn meine Zielgruppe online ist.“ Aus diesem Grund würden sie auch teilweise 18-Jährige Recruiter beschäftigen, die kein Problem damit hätten, auch einmal am Samstag oder Sonntag auf Anfragen zu reagieren. Also wenn schon am Puls der Zeit, dann auch richtig. Die eigentliche Frage wäre jedoch, ob die Zielgruppe tatsächlich auf WhatsApp vertreten ist und sich in diesem Rahmen überhaupt mit beruflichen Themen auseinandersetzen möchte.
Das Imageproblem der Lehre
In dieser Ausgabe der whatchACADEMY liegt der Fokus auf Lehrlingen, in Deutschland auch Azubis genannt. In diesem Bereich stehen Personaler vor einigen speziellen Herausforderungen. Das größte Problem für Lehrlingsberufe ist das Bild, das in vielen Köpfen zum Thema Lehre verankert ist. Hierzu fällt das Stichwort Überakademisierung. Der gesellschaftliche Druck, jeder solle Matura (Abitur) machen und danach studieren, sei immens hoch. Christian betont, dass eine Lehre kein bildungspolitischer Holzweg ist. Aktionen aus der Vergangenheit um Lehrberufe attraktiver zu machen wie „Lehre mit Matura“ würden in die komplett falsche Richtung gehen. Es gäbe genug Beispiele, die den Irrglauben widerlegen, dass zumindest ein höherer Schulabschluss notwendig wäre, um eine erfolgreiche Karriere hinzulegen. Nicht nur der Politiker Rudolf Hundstorfer (Sozialminister), dessen Namen Jubin als Beispiel in die Runde wirft, hat seinen äußerst erfolgreichen beruflichen Werdegang mit einer Lehre begonnen. Gerade die Stadt Wien wäre ein Paradebeispiel für MitarbeiterInnen, die als Lehrlinge begonnen haben und jetzt verschiedenste Führungspositionen besetzen.
Die Herausforderung für Unternehmen, die nach Fachkräften suchen, ist, wirft Christian ein, sich bei der Zielgruppe richtig zu präsentieren. Man müsse den Spagat hinbekommen zwischen dem, was zielgruppengerecht und modern ist, ohne seine eigenen Ansprüche nach unten zu schrauben oder zu nivellieren, nur weil es die Zielgruppe auf diese Art besser erreichen könnte.
Sinkendes Bildungsniveau bei SchülerInnen
Viele Jugendliche wären heute nicht mehr in der Lage sinnerfassend zu lesen. Eine erschreckende Aussage, doch scheinbar Realität. Auch ein Zuschauer möchte Genaueres zum Thema Bildungsniveauabfall bei der neuen Generation wissen. Wie erreicht man diese Jugendlichen und will man genau diese überhaupt erreichen? Keine leichte Frage, da sind sich Robert und Christian einig. Christian gibt zu, dass in der Vergangenheit ein sinkendes Bildungsniveau bei den Bewerbern feststellbar ist. Robert sieht den Grund hierfür in unserem Bildungssystem, das seit 20 Jahren nicht mehr verändert wurde und das würde viele hinterfragungswürdige Folgen nach sich ziehen, wie eben ein sinkendes Niveau bei SchülerInnen.
Lehre mit Matura
Ein Zuschauer ist es schließlich, der die Frage nochmals aufgreift, wie denn die Stadt Wien denn nun zu Lehrlingen mit Matura stehe. Die Stadt Wien besetzt grundsätzlich keine Lehrstellen mit Mautranten, erzählt Christian. Jugendliche mit Maturaabschluss können sich für gehobene Verwaltungs- oder Technischen Dienst bewerben, da sie die grundsätzlichen Voraussetzungen erfüllen, um in einem Angestelltenverhältnis für die Stadt Wien zu arbeiten. „Das hat auch etwas mit sozialer Verantwortung zu tun. Wenn jemand mit dieser schulischen Qualifikation zu uns kommt und in einen Lehrberuf gezwungen wird, mit entsprechend ungleich niedrigerer Bezahlung, dann sehe ich da Gefahren.“ Man würde dem Bewerber nicht nur die Chance nehmen ausbildungsadäquat Geld zu verdienen, sondern auch einen Verdrängungseffekt hervorrufen. Was passiert dann mit denjenigen, die außer einem Pflichtschulabschluss nichts aufzuweisen haben? Deswegen gingen sie diesen Weg bewusst, keine Maturanten als Lehrlinge bei der Stadt Wien aufzunehmen, erklärt Christian.
Auch Robert pflichtet bei und ergänzt, es wäre mittlerweile bei vielen Unternehmen gang und gäbe, ausschließlich Maturanten für Lehrberufe auszuwählen, beziehungsweise nach Schulabbrechern von höheren Schulen zu suchen, um offene Lehrstellen zu besetzen. Das Problem hier wäre nicht nur, dass die Ausbildung vom Steuerzahler dann doppelt bezahlt wird, sondern eben auch der Verdrängungseffekt von jungen Menschen ohne höheren Bildungsabschluss. Das Bestreben der Unternehmen komme daher, dass Maturanten und Schulabbrecher älter sind und dadurch besser eingesetzt werden können, vor allem im Vertrieb. Auch Robert sieht die Lösung darin die Lehre ins richtige Licht zu rücken und als letzten Ausweg zu erachten, wenn man sonst keine andere Wahl mehr hätte. Die Überakademisierung führe zu Fachkräftemangel und Fachkräfte müssten „on the job“ ausgebildet werden, also praxisnah, wofür keine Matura vonnöten ist. Hier kommt wieder das falsche Bild des Lehrlingsberufes ins Spiel. Deswegen betonen beide, Robert Frasch und Christoph Schendlinger:
Eine Lehre ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer Karriere!
Hier gibt es den ganzen Live-talk in voller Länge:
Da für so ein komplexes Thema das Format natürlich nicht ausreicht, um gewissen Themen im Detail zu diskutieren, ist für weitere Fragen, Informationen oder Anregungen Christian per Mail gerne erreichbar:
Christian Schendlinger
Leiter Lehrlingsmanagement
christian.schendlinger@wien.gv.at