Beruf + Berufung: «Es war nie mein Ziel, ein Guru zu werden»

Beruf + Berufung: «Es war nie mein Ziel, ein Guru zu werden»

B+B_Tom_PetersTom Peters, Management-Berater und Bestseller-Autor

Sein erster Kunde war Apple-Chef Steve Jobs, sein erstes Buch «In Search of Excellence» verkaufte sich millionenfach und machte ihn zum vielleicht populärsten Management-Berater mit Tagesansätzen bis zu 75’000 Dollar. Im Interview sagt Tom Peters (70), dass er seinen Aufstieg auch glücklichen Umständen verdankt und dass er selber vermutlich kein guter Chef wäre. Drei Ratschläge für Chefs hat er trotzdem parat.

Interview: Mathias Morgenthaler    Foto: ZVG

 

Herr Peters, seit Sie vor 31 Jahren mit Robert Waterman das Buch «In Search of Excellence» herausgebracht haben, gelten Sie als Management-Guru. Wie viele Exemplare sind bis heute über den Ladentisch gegangen?

TOM PETERS: Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. In den ersten vier Jahren waren es ungefähr drei Millionen Exemplare, seither zähle ich nicht mehr mit. Manchmal höre ich Zahlen, da wird mir fast schwindlig. Allein in China wurden Millionen davon verkauft. Wir waren damals absolut fassungslos, wie dieses Buch einschlug. Die Erstauflage betrug 5000 Exemplare. Wir machten uns ein wenig Sorgen, ob die alle weggehen würden. Ursprünglich war es ja gar kein Buch-Projekt, sondern ein Auftrag unseres Arbeitgebers McKinsey, herauszufinden, wie Unternehmen über längere Zeit erfolgreich und innovativ sein können.

 

Und Sie haben diese Frage ein für allemal beantwortet?

Nein, aber wir legten den Fokus nicht auf Marketing und Finanzen, wie das an den Business Schools gelehrt wurde, und auch nicht auf Unternehmensstrategie, wie McKinsey das propagierte. Wir behandelten vor allem die Kernthemen Qualität, Kreativität und Personalentwicklung. Wir beschrieben detailliert die perfekte Servicekultur, die zum Beispiel IBM zum führenden Computerunternehmen der frühen Achtzigerjahre gemacht hatte. Wir räumten auf mit dem Irrglauben, dass es primär auf die so genannt harten Faktoren wie Pläne, Budgets und Zahlen ankommt. Die wirklich wichtigen Faktoren sind Auswahl, Schulung und Begeisterung der Arbeitskräfte, dann ergibt sich das andere. Kurz: Wir erinnerten an ein paar eigentlich selbstverständliche Dinge…

 

… und Sie wurden damit innert Kürze zum wohl meistzitierten Management-Guru.

Es war nie mein Ziel, ein Guru zu werden. Aber natürlich war das Erscheinen dieses Buchs das zweitwichtigste Ereignis meines Lebens nach der Geburt. Es wäre aber kein so grosser Erfolg geworden, wenn wir nicht ein glückliches Händchen beim Timing gehabt hätten. Noch 1978 fand man keine Wirtschaftsbücher in den Schaufenstern von Buchhandlungen, niemand kannte die Firmenchefs. Dann kamen Jack Welch und Lee Iacocca, diese charismatischen Konzernchefs. Gleichzeitig wurde die amerikanische Wirtschaft von den Japanern bedrängt. Jack Welch wurde zum Star, weil er bei General Electric erkannte, dass niemandem damit gedient war, wenn hundert Angestellte Tausende von Seiten mit Strategieplänen füllen, während die Angestellten an der Front ihre Produkte nicht ausliefern konnten. Lee Iacocca wurde durch die Sanierung der angeschlagenen US-Automarke Chrysler ein Star. In den Achtzigerjahren wurden Manager plötzlich als Helden verehrt, wir Berater zu Business-Gurus überhöht. Ich mochte diese Etikette nie.

 

Sie hatte doch angenehme Nebeneffekte für Sie. Ohne diese Überhöhung hätten Sie nicht bis zu 75’000 Dollar pro Tag verlangen können.

Ja, fürs Geschäft war das sicher förderlich. Aber mein Antrieb war immer, mit wichtigen Wirtschaftsleuten im Gespräch zu sein, etwas zu bewegen; es kam mir nie darauf an, alles besser zu wissen.

 

Mit dem Ruhm kamen auch die Anfeindungen. Es hiess, im Gegensatz zum stillen, aber einflussreichen Management-Vordenker Peter Drucker seien Sie ein unterhaltsamer Entertainer, der mit einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen punkte. Ärgert Sie solche Kritik?

Ja, das verletzte mich. Erstens hat auch Peter Drucker vom Hype der Medien profitiert – lange Zeit verkauften sich seine Bücher nicht sehr gut und er referierte teilweise vor 20 Managern. Und zweitens trifft es nicht zu, dass ich bloss der Entertainer war. Ich habe je einen Abschluss in Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften, mein Hintergrund ist also sehr solid. Aber im Gegensatz zu Drucker habe ich immer mit konkreten Beispielen aus der Wirtschaft gearbeitet. Tom Peters, das ist Peter Drucker plus Datenmaterial. Aber ich streite nicht ab, dass ich ein Schauspieler bin, der die Bühne mag. Jeder Mensch, der etwas bewegen will, braucht nicht nur profundes Wissen, sondern auch Überzeugungskraft. Schon Roosevelt sagte, der Präsident müsse der beste Schauspieler sein.

 

Wären Sie selber ein guter Firmenchef gewesen?

Das ist doch die falsche Frage. Oder taugt der beste investigative Journalist nur etwas, wenn er auch das Justiz-Departement führen kann? Muss der politische Kommentator der «New York Times» den Beweis erbringen, dass er die USA besser führen kann als Präsident Obama, bevor er einen Leitartikel schreiben zu darf?

 

Sie wollten also nie selber Chef werden?

Ich war immerhin Vorstand bei McKinsey. Dann fand ich aber, das Leben sei zu kurz, um sich in internen Querelen aufzureiben. Aber wenn Sies unbedingt wissen wollen: Ich hatte in dieser Hinsicht keine Ambitionen und das war wohl gut so. Ich wäre nie ein Jack Welch geworden. Menschen zu entdecken, zu überzeugen, zu führen, zu entwickeln – das verlangt ganz andere Qualitäten.

 

Wenn ein junger Chef Sie fragt, auf welche drei Dinge es bei der Führung hauptsächlich ankommt, was antworten Sie ihm?

Punkt 1: Bescheidenheit. Du kannst noch so brillant sein, du hängst immer von anderen ab. Du musst Leute finden, die sich für dich ins Zeug legen, die du wachsen lassen kannst, bis sie im Idealfall besser werden als du. Was vermag ein Dirigent ohne seine Musiker? Absolut nichts. Das gilt auch für jeden Chef. Punkt 2: Tempo ist wichtiger als Perfektion. Perfektionismus ist vielleicht der grösste Feind von Managern. Als Medienunternehmer Michael Bloomberg nach seinem Erfolgsgeheimnis gefragt wurde, sagte er einmal: «Als unsere Konkurrenz noch Meetings darüber abhielt, wie das nächste Meeting zu gestalten sei, hatten wir schon den 15. Prototypen entwickelt.» Etwas zu verbessern ist immer viel einfacher, als es neu zu konzipieren. Ich habe keine Ahnung, wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird. Was man nicht planen kann, muss man ausprobieren.

 

Und Ihr dritter Ratschlag an die Chefs?

Kämpfe jede Minute jeden Tages gegen die Isolation. Je mehr Macht jemand hat, desto weniger Leute sagen ihm ehrlich die Meinung. So wird man schneller isoliert, als viele denken. Natürlich geben sich alle Mühe, das Gegenteil zu vermitteln, aber das ist bloss Theater. Wenn unser Präsident vor den Kameras mit dem Mann von der Strasse ein paar Worte wechselt, dann wurde dieser Mann vorher drei Wochen lang geprüft und instruiert. Wenn ein Konzernchef sich entscheidet, mal eben die Niederlassung X im Land Z zu besuchen, um sich ein Bild von der «Front» zu machen, dann tut die Belegschaft dort tagelang nicht viel anderes, als sich auf diesen «Staatsbesuch» vorzubereiten.

 

Wie entgeht ein Chef der Gefahr der Isolierung? Sie beschreiben hier nur das Problem, ohne Lösungsvorschläge zu machen.

(Lacht) So machen wir Management-Gurus das immer. Im Ernst: Der Gründer und CEO von Starbucks ist vielleicht ein gutes Beispiel. Eines seiner wichtigsten Ziele ist es, jede Woche mindestens 25 Filialen zu besuchen. Der Mann weiss sehr genau, wie sein Business funktioniert und was seine Angestellten beschäftigt. Diese Nähe zu den Leuten gewinnt man nur mit sehr viel Arbeit.

 

Wie halten Sie es im 71. Lebensjahr mit der Arbeitsmenge? Geben Sie immer noch über 100 Seminare pro Jahr?

Nein, wo denken Sie hin. Ich arbeite intellektuell so hart wie eh und je, aber meinem Körper gönne ich mehr Ruhe. Wichtig ist, dass ich mit dem, was ich schreibe und sage, ein Unruhestifter bleibe. Ein Politiker sagte einmal, er wünsche sich, als jemand in Erinnerung zu bleiben, der den Schlaf seiner Generation gestört hat. Das sehe ich ähnlich. Aber eigentlich soll auf meinem Grabstein stehen: «He was a player.» Einer, der sich eingemischt hat, nicht einer, der bloss an der Seitenlinie gestanden hat. Deshalb war ich ganz glücklich, als mich «Business Week» als «besten Freund und schlimmsten Albtraum» der Wirtschaft bezeichnet hat.

 

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Das Buch zum Thema: www.aussteigen-umsteigen.ch